Zur Freude der Römer
Wie im Badener Bäderquartier Zukunft auf Vergangenheit trifft
Baden weiss, wie man in der obersten Liga spielt. Zum Beispiel dribbelten die Fussballer des FC Baden Mitte der 1980er-Jahre gegen die Besten des Landes. Zugegeben, nur eine Saison, und die ist nun auch schon ein paar Jahrzehnte her. Ähnlich, wenn auch mit etwas grösserer Tragweite, ist es mit den Bädern dieser Stadt. Es ist die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit im Zentrum Europas, die Sehnsucht nach Bedeutsamkeit und die Wehmut über das, was sein könnte. Oft reduziert auf die eine «Saison», in der die Römer das Fundament des Bäderquartiers legten. Höchste Zeit, um ein paar Gedanken aufzufrischen: War da eigentlich sonst noch was, ausser den Römern? Und wie soll das «Fortyseven» überhaupt an die Strahlkraft längst vergangener Zeiten anknüpfen können?
Was die römischen Ingenieure und ihre Arbeitskräfte vor 2000 Jahren in Baden errichtet haben, war und ist eine wahre Meisterleistung. Die aktuellen Ausgrabungen auf dem Kurplatz und zahlreiche frühere Funde am Limmatknie zeugen von einer frühen Gesundheitsversorgung, aber auch von kulturellem Machtanspruch. Worin genau aber liegt der Grund, dass Baden auch noch heute wie unauflöslich mit den Römern verflochten zu sein scheint? Alte Gemäuer und Wasserleitungen gibt es auch woanders. Und die heissen Quellen im Bädergebiet wurden schon lange vor ihrer Ankunft genutzt.
Nun, die Quellfassungen und Anlagen der damaligen Weltmacht waren prägend für alles, was danach kam. Und sie sind es noch heute. Die Bäder späterer Epochen bauten auf die römischen Fundamente. Diese Fundamente legten den Grundstein des «organisierten Badebetriebs», und bis heute bestimmt das von den Römern angelegte System aus gefassten Quellen und deren Leitungen, wie im Bädergebiet gebaut wird. So bleibt dieses historische Erbe mit wahrhaft fundamentalem Einfluss auf das Heutige bestehen – selbst wenn es nicht überall sichtbar ist.
Sichtbar sind jedoch die Bauten an der Oberfläche. Und die weisen eine spannende Parallele zur römischen Zeit auf: Nicht, weil die Mauern damals auch im Lot und nach Plänen sauber erbaut wurden. Sondern, weil die römischen Bäder grossen Dimensionen folgten, etwas Monumentales ausstrahlten, das sich deutlich von den übrigen Wohn- und Lebenssituationen im damaligen Umland unterschied. So beschreibt es im Gespräch Andrea Schaer, die Archäologin und Kulturhistorikerin, die die Ausgrabungen in den Bädern seit rund 15 Jahren führt und begleitet. «Im Mittelalter war die Bauweise dann viel kleinräumiger. Sowohl die Badebecken waren kleiner als auch die gesamte Anlagestruktur, die eher kleinstädtischen Charakter aufwies.»
Während sich auch das Thermalbad der 1960er-Jahre stark zurücknahm, hebt sich die von Mario Botta geformte Architektur der Wellness-Therme Fortyseven nun wieder bewusst mit grösseren Linien ab. Eine Parallele zum römischen Zeitgeist lässt sich hier durchaus erkennen. Aber ein enger Fokus auf die Römer greift, was die Bäder in Baden betrifft, bei aller Bewunderung und Faszination für deren Erbe, zu kurz. Das sprudelnde Wasser dürfte schon tausende Jahre vor den Römern genutzt worden sein, und die Kelten hatten Quellen aller Art verehrt. Zeugnisse davon wurden auch in Baden gefunden. «Leider muss man anmerken, dass wir wohl auch deshalb kaum etwas darüber wissen, wie es vor den Römern im Bädergebiet aussah, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Römer alles abgetragen haben, was vorher da gewesen war.» Andrea Schaer sagt das mit einer fachlichen Nüchternheit, die gebürtigen Badenerinnen und Badenern fast weh tun muss. Wie weit die Wurzeln zurückgehen, bleibt also offen.
TV-Beitrag vom SRF – Einstein vom 16. April 2020
Die Bäder als «Place to be»
Und was kam nach den Römern? Baden entwickelte sich im Mittelalter zum Referenzort, zum bekanntesten Badeort im deutschsprachigen Europa. Die Stadt hatte eine Strahlkraft, die weit über die regionalen Grenzen hinaus reichte. Andrea Schaer erklärt: «Könige und Herrscher waren früher wenig sesshaft und zogen durch ihre Ländereien. Einige davon verbrachten den Sommer hier in Baden. Wer die Machthaber treffen wollte, kam hierher.» Die Bäder hatten also neben der gesundheitlichen auch stets eine gesellschaftliche Funktion.
Diese blieb über Jahrhunderte erhalten. Baden war der «Place to be». Die Eidgenossen hielten ihre Tagsatzungen hier ab. Der Badener Heiratsmarkt zu Zeiten der Belle Epoque war über Grenzen hinaus bekannt. Literaten wie Poggio Bracciolini oder Hermann Hesse verfassten Zeitzeugnisse über das gesellschaftliche Leben in den Bädern. Verdeutlicht wird die besondere Stellung der Badener Thermalquellen im Bäderbüchlein von Hans Folz – aus dem Jahr 1480. Darin beschreibt der Nürnberger Wundarzt zahlreiche Thermen in der Schweiz und in ganz Europa. Auf jeweils zehn Seiten. «Über Baden schrieb er hundert Seiten», sagt Andrea Schaer, «seiner Meinung nach war es der bedeutendste Badeort jener Zeit.»
Vergangenheit wird Zukunft
In den letzten Jahrzehnten, nach dem Ende der Belle Epoque und ihrer langen Kuraufenthalte entwickelte sich Baden touristisch nunmehr zu einem Ausflugsziel für kürzere Aufenthalte. Ein beliebter Treffpunkt ist die Bäderstadt aber dank wirtschaftlicher und kultureller Stärke trotzdem geblieben. Und die neuerliche Wiederbelebung der grossen Bäder eröffnet neue Perspektiven. Die Wellness-Therme Fortyseven positioniert sich bewusst nicht als regionales Schwefelwasserbecken. Sie ist vielmehr eine mehrerer Quellen des Wohlbefindens, die das ganze Bäderquartier zu einem Ort machen, an den man unabhängig von Alter, Lebensstil oder Herkunft gerne verweilt. Immer wieder, und von überall her. Ein gesellschaftlicher Treffpunkt, wie er es bereits während römischen und anderen Epochen war. Das Fortyseven knüpft so an die glorreiche Historie der Bäderstadt an, überführt sie in den modernen Zeitgeist und kreiert damit neuerlich einen Place to be im Hier und Jetzt.
Die Römer hätten ihre Freude.
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Titelbild: © Historisches Museum Baden, graphische Sammlung